Mülders und Weise: "EM-Titel sind nicht nötig, aber möglich!"
Die deutschen Hockey-Bundestrainer im Doppel-Interview vor der EM
09.08.2015 - Die Vorbereitungen auf die am 21. August in London beginnenden Europameisterschaften sind für die Herren bereits abgeschlossen. Für die Damen steht noch ein abschließender Lehrgang in Antwerpen mit drei Länderspielen gegen Belgien auf dem Programm, bevor es in die Olympiastadt von 2012 geht. Im Doppel-Interview sprechen die beiden Bundestrainer Markus Weise und Jamilon Mülders über Erwartungen, Ziele und die aktuelle Form ihrer Teams, die beide als Titelverteidiger an den Start gehen.
Von außen betrachtet hat die Wertigkeit der Europameisterschaft vor dem Hintergrund der bereits gesicherten Qualifikation für die Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro abgenommen. Welche Bedeutung hat das Turnier für Sie und Ihre Teams?
Jamilon Mülders: Ich empfinde diese Diskussion als falsch. Wir haben hier ein kontinentales Turnier, und wir werden das sehr seriös angehen. Wir sind kein Team, das ein Turnier abschenkt. Für unsere Entwicklung aktuell und in den nächsten 13 Monaten ist dieses Turnier wichtig und bietet einige Szenarien, die wir nutzen werden. Der Titel ist keine Pflicht, aber möglich.
Markus Weise: Wir befinden uns ja in der komfortablen Lage, den Titel nicht gewinnen zu müssen. Aber wir können einen gewinnen. Das Alternativszenario, nämlich den Titel holen zu müssen, um in Rio dabei sein zu können, wäre weniger schön. Die Frage wird sein, ob wir es auch klar genug wollen. Wenn das nicht der Fall sein sollte, wird es auch schwer, unter Umständen ein hartes Halbfinale zu überstehen. Wir haben gerade gegen Holland gesehen, was passieren kann, wenn man nicht die richtige Einstellung zum Spiel und zum Gegner findet. Dann geht es gleich nach hinten los. Ich denke ebenfalls, es ist absolut wichtig, die EM als separates Turnier zu sehen. Wir wollen ja nicht nur dabei sein, sondern nach Möglichkeit auch um einen wichtigen Titel mitspielen.
Rio 2016 gilt als übergeordnetes Ziel. Wie wichtig ist es, auf dem Weg dahin – wie jetzt bei der EM – gerade gegen die Topteams schon mal ein Ausrufezeichen setzen zu können?
Jamilon Mülders: Wir agieren für uns und unsere Entwicklung. Wenn andere das als „Ausrufezeichen“ interpretieren, ist das ihre Sache. Kommunikation geht bekanntlich beim Empfänger los. Wir arbeiten an unseren Themen und daran, bei einem wichtigen Turnier den nächsten Schritt nach vorn zu machen.
In welcher Form befinden sich Ihre Mannschaften aktuell? Sind Sie für die Europameisterschaften gerüstet?
Markus Weise: Ich glaube, wir sind schon sehr gut gerüstet. Der letzte Test gegen die Niederländer gibt zwar einen Punktabzug, aber das Spiel war vielleicht zu dicht dran am Masters und nicht gut gelegt. Aber insgesamt war es auch gut zu sehen, dass es mit weniger als 100 Prozent eben schwer wird, mit den Besten mitzuhalten.
Man könnte sagen: „Traditionell“ groovt sich Ihr Team gern in so ein Turnier rein. Diesmal wird das mit Belgien als Auftaktgegner wohl nicht möglich sein…
Markus Weise: Das stimmt wohl. Das war letztes Mal auch so. Da waren wir im zweiten Spiel zur Halbzeit so gut wie ausgeschieden. Das könnte auch diesmal wieder so laufen. Zeit zum ‚Reingrooven’ haben wir nicht. Eher müssen wir im ersten Spiel direkt vom Groove auf Metal umstellen. Damit müssen wir aber klarkommen. Wir haben auch nur ein Trainingsspiel vereinbaren können. Das ist nicht optimal, ist aber eben so. Falls wir gegen Belgien verlieren, müssen wir dann eben Irland schlagen, was ja auch keine unlösbare Aufgabe ist. Und wenn auch das nicht klappt, kommen wir auch zurecht nicht ins Halbfinale. Ich habe aber eher ein gutes Gefühl.
Herr Mülders, wie gut ist Ihr Team drauf?
Jamilon Mülders: Grundsätzlich bin ich mit der Entwicklung zufrieden. Wir haben immer ein paar Baustellen, aber das ist völlig normal. Wir haben vor, bei und nach dem World-League-Turnier in Valencia gute Schritte gemacht. Jetzt werden wir erneut auf den Prüfstand gestellt, wie gut wir sind.
Von den Ergebnissen her war es mitunter ein wenig wechselhaft…
Jamilon Mülders: Ich sehe dieses Auf und Ab gar nicht. Die Entwicklung der Mannschaft passt. Ausschließlich an Ergebnissen orientierte Ansprüche sind oberflächlich. Die Mannschaften liegen international eng beieinander. Aus einem guten Turnier einen Medaillenanspruch beim nächsten zu formulieren, liegt auch nicht in unserem Selbstverständnis. Wir gehen ins Turnier, arbeiten unsere Aufgaben step by step ab und sehen dann weiter.
Für Sie beide schließt sich mit dieser EM in London jeweils so was wie ein Kreis. Für Sie, Herr Mülders, war die letzte EM 2013 – abgesehen von der World League zuvor – die erste große Meisterschaft als Damen-Bundestrainer. Sie, Herr Weise dürften London als Austragungsort wohl in erster Linie mit dem Olympiasieg 2012 in Verbindung bringen. Wie schätzen Sie die Entwicklung Ihrer Teams seitdem ein?
Markus Weise: Wir haben natürlich personell und auch von der Spielweise her etwas verändert. Es gibt Sachen, die belässt man so, andere müssen angepasst werden. Wir beziehen da die Jungs auch mit ein, um das ganze Konstrukt bestmöglich zum Funktionieren zu bringen. Es hängt ja auch von den jeweiligen Spieltypen ab, wie ein System aussehen kann. Man kann sich die Typen für ein fixes System suchen, spannender aber ist es, die jeweiligen Spieler und das Spiel gemäß ihrer speziellen Fähigkeiten zu entwickeln.
Jamilon Mülders: Bei uns gibt es schon einige Parallelen zu damals. Wir hatten zuvor ein gutes World-League-Turnier gespielt, was uns kaum jemand zugetraut hatte, weil wir einige wichtige Charaktere verloren hatten. Damals waren wir im Entwicklungsprozess auf eine WM hin, jetzt auf die Olympischen Spiele. Ich halte es aber nicht für sinnvoll, diese beiden Mannschaften miteinander zu vergleichen. Es ist ja seitdem unglaublich viel passiert. Das Team heute hat ein ganz anderes Level in den Bereichen Selbstverständnis, Selbststeuerung, im Auftreten und der Mannschaftsführung.
Auch bei den Herren Vorfreude auf die Rückkehr nach London, Herr Weise?
Markus Weise: Wie man es sieht… Die Jungs werden sich nicht unbedingt auf das Hotel freuen. Das wird spannend, weil es mal etwas einfachere Bedingungen sind. Aber das ist vielleicht gar nicht so schlecht. In Rio wird es womöglich auch nicht viel besser werden. Abgesehen davon ist London aber natürlich ein attraktiver Austragungsort für eine EM. Die haben da ein schönes Stadion hingestellt, das sicher auch mit einer guten Stimmung aufwarten wird. Wir freuen uns zumindest drauf.
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