Alles nach Drehbuch?
Ein durchschnittlich begabter, junger Regisseur ohne Mut zum Außergewöhnlichen hätte wohl vor Anfang der WM sein Drehbuch über die ersten vier Spiele wie folgt verfasst: Die deutschen Damen gewinnen ihre ersten drei Spiele und müssen dann eine Niederlage gegen die Niederlande einstecken. Das letzte Gruppenspiel gegen Australien kommt damit einem Viertelfinale gleich. So ist es gekommen, alles strikt nach Drehbuch also...oder?
Nein, das ist nur die halbe Wahrheit, auf dem Papier mag es vielleicht so erscheinen, aber es hätte auch alles ganz anders kommen können. Nehmen wir z.B. einmal das Japan-Spiel. Wer von Ihnen hat dieses Spiel zu nächtlicher Stunde und bei winterlichen Bedingungen verfolgt? Oder soll ich besser fragen, wer von Ihnen hat live mitgefiebert, mitgelitten, mitgebangt? Entschuldigen Sie an dieser Stelle die grauen Haare, die Sie neu hinzu „gewonnen“ haben.
Viele Nachrichten haben uns nach dem Spiel erreicht, die entweder so lauteten: „Wie soll man nach so einem Krimi überhaupt noch schlafen“? Oder aber so: „Puuuh, das war auch für uns am Fernsehr ganz schön anstrengend. Wir gehen jetzt hundemüde schlafen“. Ja - knapp war`s. Ein deutscher Dusel-Sieg a lá Bayern München. Die Trainer warnten uns vorher - es könne ein echtes Geduldspiel werden gegen die wuseligen Asiatinnen. Aber von einem Krimi war nicht die Rede.
In der Halbzeitpause übernahm Kais kurzerhand die Rolle des Regisseurs und skizzierte uns sein Drehbuch für die zweite Halbzeit: Wir gehen 1-0 in Führung, dann müssen die Japaner kommen, wir haben Platz zum kontern und schaukeln die Kiste nach Haus. Die Danas hatten anderes im Sinn, entschieden sich, das Drehbuch zu einem Thriller umzugestalten.
Erste Drehbuchänderung: Wir gingen nicht in Führung, sondern gerieten schnell nach der Pause in Rückstand. Plötzlich lief in unseren Köpfen ein ganz anderer Film. Niederlage gegen Japan - frustrierte Stimmung - Spiele um Platz 5-8 - Lagerkoller - und die Danas in den Hauptrollen...CUT!
Das musste verhindert werden. Es gelang - wenn auch haarscharf. Dem Ausgleichstreffer folgte schon bald die Führung. Kurz vor Schluss aber der Schock: Ausgleich durch die Japanerinnen. Ein Glück durchbrach Brat (wer verbirgt sich wohl hinter diesem Spitznamen) die Schockstarre gerade noch rechtzeitig und forderte den Videobeweis - die Ecke der Japanerinnen schlug über Bretthöhe ein, kein Ausgleich, sondern Happy End für die Danas. Zweiter Sieg, nichts passiert (außer den grauen Haaren), Deutschland weiter voll im Turnier.
Das Drehbuch des jungen, durchschnittlich begabten Regisseurs geht weiter auf. Betrachten wir aber auch nochmal kurz das gestrige Spiel gegen Holland. (Ja, nur ganz kurz, nicht lange den möglichen Punkten nachtrauern, wir brauchen morgen alle Kraft gegen die Aussies). Haben Sie es gesehen? Wie war ihr Eindruck? Unserer war zumindest, dass die Kiste auch ganz anders hätte ausgehen können. Vor allem in der ersten Halbzeit hätten wir noch mehr Tore schießen können/müssen.
Auch am Ende des Spiels hatten wir noch zwei Ecken und somit gute Chancen auf Zählbares. (Ja - bei den Ecken haben wir noch Steigerungspotential, aber seien Sie beruhigt, ich schreibe diesen Artikel gerade auf dem Weg zum Eckentraining). Das war eine Begegnung auf Augenhöhe. Sogar die Hollies sprachen in der Pressekonferenz von einem „lucky win“. Die Erkenntnis aus diesem Spiel? Wir können jede Nation bei diesem Turnier hier schlagen.
Kennen Sie den Spruch: „Aus einer Niederlage gestärkt hervor gehen“? Wir kennen ihn und mehr noch - wir werden ihn morgen mit Leben füllen - im Viertelfinale gegen Australien. Ein Unentschieden reicht zum Weiterkommen, aber uns nicht. Wir spielen auf Sieg. Wir gehen hier unseren eigenen Weg. Nicht umsonst lautet unser Torjingle „Our own way“. Wir spielen unseren eigenen Stil - einen Stil, an dem sich noch einige Mannschaften die Zähne ausbeißen werden.
Ihnen daheim bleibt die Rolle des Zuschauers - wir freuen uns darüber, wenn Sie sie wahrnehmen. Wir versprechen Ihnen dafür morgen einen Action-Film zu nächtlicher Stunde gegen Australien.
Die Regie dabei führen die Danas.
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