Natascha Keller: Nur der Feld-WM-Titel fehlt ihr noch
Die Berliner Ausnahmespielerin ist seit August neue Rekord-Nationalspielerin des DHB
30.08.2010 - Ausgebrannt, überspielt, Erfolgs gesättigt? Keiner dieser Begriffe passt auf Natascha Keller, den Dauerbrenner im deutschen Frauenhockey. Wer die 33-jährige Berlinerin auf dem Platz erlebt, der sieht Spielfreude pur, Hingabe für diesen Sport und – trotz der unglaublichen Karriere – eine hundertprozentige Unterordnung unter die Ziele des Teams. Keller war Olympiasiegerin, Europameisterin, Hallen-Weltmeisterin, Champions-Trophy-Gewinnerin und wurde bereits 1999 vom Weltverband zur besten Spielerin weltweit gekürt, und dennoch ist der Vollblutstürmerin jedwede Attitüde oder Arroganz auf und neben dem Platz völlig fremd.
Natascha Keller hat ein durchaus bemerkenswertes Gedächtnis. An ihr erstes Länderspiel kann sie sich noch gut erinnern, obwohl das Spiel schon etwas zurückliegt. „Das war im Oktober 1994 in Essen gegen die Niederlande“, sagt sie. 4:3 gewann die deutsche Damen-Nationalmannschaft mit der Debütantin aus Berlin, die damals gerade 17 Jahre jung war. Anfang August 2010 absolvierte die 33-jährige Stürmerin ihr 361. Länderspiel gegen Spanien und wurde damit neue DHB-Rekordnationalspielerin. Sie löste Nadine Ernsting-Krienke ab, die mit 360 Einsätzen bislang die Liste der Nationalspielerinnen mit den meisten Länderspielen anführte.
„Mit Nadine habe ich mir früher bei der Nationalmannschaft immer das Zimmer geteilt“, erzählt Keller. „Damals habe ich immer gedacht, so viele Spiele wie Nadine schaffst du nie. Dass es jetzt doch so gekommen ist, freut mich natürlich.“ Etwas Besonderes sei das Spiel, in dem sie den Titel Rekordnationalspielerin übernahm, dennoch nicht gewesen. „Ich freue mich vielmehr, dass der Körper noch mitmacht und dass mir Hockey nach wie vor sehr viel Spaß macht“, sagt Natascha Keller. Zu einer derart langen Länderspielkarriere gehöre aber auch Glück. „Ich bin von schweren Verletzungen verschont geblieben“, sagt sie.
Zudem sei es heutzutage üblich, viel mehr Länderspiele zu bestreiten als beispielsweise zu der Zeit ihres Vaters. Die Welthockeyspielerin des Jahres 1999 stammt aus der bekanntesten deutschen Hockeyfamilie. Großvater Erwin gewann 1936 in Berlin olympisches Silber, Vater Carsten holte 1972 bei den Olympischen Spielen in München die Goldmedaille. Ihr älterer Bruder Andreas Keller gewann 1992 in Barcelona Gold, ihr jüngerer Bruder Florian 2008 in Peking. Sie selbst wurde 2004 in Athen Olympiasiegerin – übrigens gemeinsam mit Schwägerin Louisa Keller (damals noch Walter).
Das Athener Finale sei ihr wichtigstes Länderspiel gewesen, sagt sie rückblickend. „Überhaupt bei Olympia dabei zu sein, ist für einen Sportler das Größte, dann noch die Goldmedaille zu gewinnen, ist einfach unglaublich. Und Olympiasiegerin bleibt man sein ganzes Leben.“ Trotz vieler Titel ist ihr Ehrgeiz nach wie vor groß. „Ich bin heiß auf jede Deutsche Meisterschaft“, sagt die dribbelstarke Angreiferin. „Wenn man diesen Ehrgeiz nicht mehr hat, sollte man auch aufhören.“ In ihrer erfolgreichen Karriere fehlt der 33-Jährigen nur noch der Weltmeistertitel auf dem Feld.
Diese Gelegenheit bietet sich nun bei der WM im argentinischen Rosario. „Es wäre natürlich super, wenn wir den Titel holen könnten. Aber auch so bin ich mit meiner Karriere sehr zufrieden.“ Nach der Weltmeisterschaft möchte sie eine Entscheidung treffen, ob es in der Nationalmannschaft für sie weitergeht. „Ich hatte mit der WM jetzt ein kurzfristiges Ziel, auf das ich hin gearbeitet habe“, sagt sie. „Es kann sein, dass ich danach sage: Es war eine schöne Zeit, aber das war es jetzt.“
Fest steht: Sollte sie weitermachen, würde sie nicht nur die Europameisterschaft 2011 in Mönchengladbach spielen wollen, sondern auch noch die Olympischen Spiele 2012 in London anpeilen, was gleichbedeutend mit ihrer fünften Olympiateilnahme wäre. Bis dahin hätte sie längst die Marke von 400 Länderspielen geknackt. Zum Vergleich: Der Rekordnationalspieler bei den Herren, Philipp Crone, hat es auf 342 Länderspiele gebracht.
Die Entscheidung über ihre Zukunft im Nationalmannschaftsdress wird auch davon abhängen, inwieweit sich Job und Leistungssport weiterhin vereinbaren lassen. „Derzeit bekomme ich das noch gut hin“, sagt die Diplom-Betriebswirtin. Sie arbeitet im Marketing und Vertrieb der „M.A.X. 2001 Sportmarketing GmbH“, die dem ehemaligen U21-Nationalspieler Michael Stiebitz gehört. Das Unternehmen entwickelte die Hauptstadtmarke „Berlin“ und war auch im Merchandising der Leichtathletik-WM im vergangenen Jahr aktiv. Neuestes Standbein des Unternehmens ist das Freizeitmode-Label Yekcoh (das Wort „Hockey“ umgedreht), um dessen Vermarktung sich die Nationalspielerin mit kümmert.
Steckbrief:
Name: Keller, Natascha
Spitzname: Taschi
Nummer: 7
geboren: 3. Juli 1977
Position: Sturm / Mittelfeld
Länderspiele: 364
Tore: 177
Club: Berliner HC
vorherige Clubs: -
Schulabschluss: Abitur
Job: Diplom-Betriebswirtin in einer Marketingagentur
Internat. Erfolge:
Olympiasiegerin 2004,
Europameisterin 2007
Vize-Europameisterin 2009,
Hallen-Weltmeisterin 2003,
Champions-Trophy-Gewinnerin 2006
3x Hallen-Europameisterin
FIH WorldHockey Player of the Year 1999
Nationale Erfolge:
10-fache Deutsche Meisterin (7 Feld-, 3 Hallentitel)
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