"Respekt vor der Situation"
Tobias Hauke beschreibt das tägliche Leben in Chandigarh
Diese Reise nach Indien ist – mal abgesehen von Moritz Fürste und Christoph Menke – für fast alle in unserem Team der erste Besuch in den Hockey-Traditionsländern Indien oder Pakistan. Da war bereits die mehrstündige Busfahrt vom Flughafen zum Hotel voll von Eindrücken zu den Lebensumständen in Indien – beeindruckend aber auch erschreckend. Ansonsten bekommen wir hier nicht allzu viele Gelegenheiten, Land und Leute näher kennen zu lernen, weil wir 24 Stunden am Tag entweder im Hotel oder im Hockeystadion sind. Das ist der allgemein etwas angespannten Sicherheitslage geschuldet. Unsere Gastgeber wollen uns beschützen und möchten nicht, dass wir zum Beispiel den Morgenlauf in unseren DHB-Klamotten außerhalb der Hotelanlage absolvieren. Es gibt zwar keine konkrete Bedrohung, aber man will auf Nummer sicher gehen. Und ich empfinde durchaus Respekt vor der Situation, auch wenn ich hier noch keine Aggression in irgendeiner Form erlebt habe.
Durch das abgeschottet Sein setzt natürlich eher mal so eine Art Lagerkoller ein, was aber dadurch gemindert wird, dass die meisten von uns zurzeit in Klausurphasen sind und ohnehin viel lernen müssen. Außerdem sind wir in dem Hotel untergebracht, das auch die indische Kricket-Nationalmannschaft bewohnt, wenn sie hier vor Ort ist. Es bietet mit einem großen Fitnessbereich, einem Schwimmbad und einer sehr komfortablen Lounge ordentliche Möglichkeiten sich abzulenken. Im Team ist zurzeit Pokern eine beliebte Freizeit-Beschäftigung. Bei sieben Spielen innerhalb von zehn Tagen – mit Regeneration, Videobesprechungen und so weiter – spielt der Freizeitfaktor aber eben auch keine so große Rolle.
Ich empfinde die Mannschaft hier in Chandigarh als sehr homogen, eine coole Truppe. Zwar stimmen die Ergebnisse noch nicht, aber wir werden auch heute vor 15.000 Zuschauern gegen Indien wieder an einer Steigerung arbeiten. Es ist ohnehin eine unglaubliche Erfahrung, vor solch einer Kulisse zu spielen. Wir vier Olympiasieger im Team kennen das ja zumindest Ansatzweise aus Peking. Aber hier gehen die Fans derart leidenschaftlich mit. Nach dem Sieg Indiens gegen Neuseeland wurde auf den Oberrängen eine Viertelstunde lang ein Feuerwerk abgebrannt und getanzt. Doch auch wir werden von den Zuschauern angefeuert.
Die Zeit direkt nach dem Spiel ist so die einzige Gelegenheit, an den Zuschauerrängen mal mit ein paar Indern zu sprechen. Ich habe allein schon zehn getroffen, die gut Deutsch sprachen. Da wird man dann schon mal gefragt, warum Christopher Zeller nicht dabei ist oder wie es uns hier gefällt. Generell sind die Leute hier extrem freundlich. Das Stadion wirkt wie eines der älteren Fußballstadien in Deutschland. Es passen rund 25.000 Menschen hinein. Aber wenn man das Stadion verlässt, wird man sofort wieder mit der Armut konfrontiert. Da stehen verfallene Häuser ohne Dächer – es sind einfach zwei komplett unterschiedliche Welten.
Wir wurden natürlich sehr intensiv gebrieft zur Verpflegungssituation. Leitungswasser ist absolut tabu, auch alle mit Wasser gewaschenen Lebensmittel wie Salat. Es gibt dreimal am Tag Reis, Nudeln oder Kartoffeln mit Beilagen – Kohlenhydrate sind einfach das Wichtigste. Die Milch für das Müsli besorgen unsere Physios. Dass wir mit Christopher Wesley bislang nur einen Magen-Darm-Ausfall hatten, ist schon ganz gut – und er ist jetzt auch wieder auf dem Damm, war in der Zeit quasi in Quarantäne, damit sich die anderen nicht anstecken. Am Montag haben wir erstmals ein bisschen Tapetenwechsel gehabt, als wir auf einem Sportgelände in der Nähe Kricket spielen durften. Das war mal etwas anderes und durchaus interessant.
Tobias Hauke
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